Zucker und seine Facetten

Mehren Sie Ihr Wissen über die Süsse, die uns glücklich und krankmachen kann.

Text und Fotos: E. Magdalena Preisig-Morf

Der honiggelbe «Zucker»

Süss – ein Wort, das man auf der Zunge vergehen lassen kann! Kein Fest ohne Dessert-Büffet! Süsses wird konsumiert, verschenkt, genascht. Süsses rinnt als Getränk die Gurgel hinunter. Menschen verlangen nach Süssem, weil unser Körper zum Funktionieren Nahrung braucht. Im Verdauungskanal verarbeitet er alles Süsse, also die Kohlenhydrate in Glukose. Blenden wir zurück zu den ersten Menschen. Sie hatten nur den Honig als Süssungsmittel. Sein Genuss lässt den Insulinspiegel ansteigen und steigert damit das Wohlbefinden. Ich erinnere an Winnie Puuh. Der gelbe Bär, kann oft an nichts Anderes mehr denken als an Honig! Dieser enthält verschiedene Stoffe. Einer davon ist die Glukose, ein Zucker, der auch von Körper hergestellt wird. Honig enthält auch Fruktose. Diese beiden Zucker sind Einfachzucker, lateinisch Monosaccharide. Viele Gesundheitsbewusste süssen ausschliesslich mit Honig, denn sie schätzen auch die anderen Inhaltsstoffe: Eiweisse, Enzyme, Mehrfachzucker, Vitamine sowie Mineral- und Duftstoffe. Das Wasser im Honig hält ihn flüssig.

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«Ich habe eine Zunge, damit ich schmecken kann. Der Honig schmeckt so süss!» (Disney, Winnie Puuh, das bist du!)

Am Anfang war das Gras

Die Geschichte des Zuckers beginnt in Polynesien. Dort, auf einer fernen Insel weit draussen im Pazifischen Ozean, gedieh vor 10’000 Jahren ein Gewächs aus der Familie der Süssgräser. Über Indien und Persien gelangte der Zucker aus dem Zuckerrohr (Saccharum officinarum) in den vorderen Orient. Die Kreuzritter brachten das süsse Produkt um das Jahr 1500 nach Europa. In Apotheken wurde dieses «weisse Gold» als Medizin und Luxusartikel verkauft. Was sie damals wohl mit Zucker therapiert haben? Vielleicht Liebeskummer…? Das gemeine Volk konnte sich den Zucker erst leisten, als dieser im 19. Jahrhundert in Fabriken hergestellt wurde. Grundfrucht ist in Europa die Zuckerrübe (Beta vulgaris). Das Endprodukt wird beim Rüben- und beim Rohrzucker als Saccharose bezeichnet, was ein Zweifachzucker, ein Disaccharid ist.

Zucker à discretion

Ums Jahr 1800 konsumierten die Menschen im Nachbarland Deutschland pro Kopf und Jahr durchschnittlich 1,5 kg, hundert Jahre später schon 8,5 kg. Und im Jahre 2000 schnellte der Konsum auf 47 kg pro Person, – annähernd ein ganzer Zuckersack mit fünfzig Kilogramm pro Person und Jahr. Der Aufwärtstrend hält an, auch in der Schweiz. Zucker steht uns unbeschränkt zur Verfügung, wird unendlich vielen Nahrungsmittel beigefügt, sei es, weil er konserviert, weil er den Geschmack verstärkt oder weil er süsst und ein Wohlgefühl in uns auslöst. Und uns obendrein noch zu treuen Käufern macht. Es lohnt sich, die Nährwerttabellen und die vor allem die Zutatenlisten zu lesen. Dabei lernen wir die vielfältigen Bezeichnungen der Zuckerarten kennen.

Ein wichtiger Industriezweig

Hierzulande gibt es seit zwei Jahren nur noch einen Zuckerhersteller: Schweizer Zucker AG (SZU) mit Standorten in Frauenfeld und Aarberg. Auf 19’000 Hektaren Ackerland werden Zuckerrüben angebaut, was eine Jahresproduktion von 240’000 Tonnen Rübenzucker ergibt. Das bringt 6’500 Bauernfamilien und 3000 Angestellten mit Vollzeitpensum Einnahmen und eine Wertschöpfung von 250 Millionen Franken. Die Zuckerindustrie ist weltweit bedeutend. Zucker ist nicht nur Konsumgut, sondern Spekulationsobjekt, indem Zuckerladungen während dem Transport gekauft und verkauft werden können. Zucker kann in Kriegszeiten rationiert werden, wobei jeweils gleichzeitig auch der Schmuggel aufblüht. Was dermassen beliebt ist, kann auch besteuert werden. Mexico zum Beispiel erhebt eine 10-prozentige Steuer auf Süssgetränke. Ein Jahr später ist der Konsum um 12 % gesunken, dafür ist mehr Mineralwasser gekauft worden. Und warum diese Übung in Mexiko? Weil es zu den Ländern mit den meisten Diabetikern, Übergewichtigen und fettleibigen Menschen zählt. Wobei nicht jeder Mensch, der Zucker isst, Diabetiker wird! Es braucht eine Disposition dazu. Für die Presse ist Zucker ein willkommenes Thema: GEO (6/2016) titelt: «Zucker — der süsse Konfliktstoff: Wie gefährlich ist er?» Der Zucker wird als Feind auf dem Teller bezeichnet. Ketchup sei das zuckerreichste Lebensmittel und Konserven seien wahre Süss-Container.

Die Glukose macht satt

Im Wort Disaccharid ist «di» enthalten, was zwei bedeutet. Der Zucker besteht je zur Hälfte aus Fruktose und Glukose. Sie bringen Energie für Hirn, Muskeln und Blut. Der Zuckergehalt im Blut muss konstant auf etwa 5 – 7 Millimol pro Liter gehalten werden. Je mehr Glukose wir essen, desto höher die Insulinausschüttung, die Bauchspeicheldrüse muss intensiv schaffen. Immerhin ist die Glukose ein Zucker, der nachhaltig sättigt. Bei einer Unterzuckerung verlangt der Körper nach Nahrung. Bekommt er dann 2 – 3 Traubenzucker-Bonbon und etwas Wasser, verschafft ihm das Sofortenergie. Er gerät nicht in die Unterzuckerung. Diabetesbetroffene haben deshalb immer etwas Süsses dabei.

Mehr und mehr

Fruktose ist im Gegenteil appetitfördernd. Sie verursacht der Leber viel Arbeit. Weil sie nicht sättigt, fördert sie den Verzehr und damit das Übergewicht. Dazu kommt, dass ein Drittel der Europäer Fruktose nicht gut abbauen kann. Fruktose nährt auch die unangenehmen Darmpilze und soll auch die Bildung von Krebszellen fördern. Vor allem in Fruchtsäften und Süssgetränken ist sie zu meiden. Diese wirken wie eine Fruktose-Injektionen. Da sie zum Abbau kaum Insulin braucht, ist sie das bevorzugte Süssungsmittel für Diabetiker. Folgenschwer ist der Effekt auf den Appetit: Da Fruktose nicht sättigt, entsteht bald wieder Heisshunger, was das Verlangen nach Zucker erneut steigert. Ein Teufelskreis kommt in Gang, was suchtähnliche Symptome annehmen kann. Dr. Christoph Beglinger in Basel hat nachgewiesen, dass Glukose ein Sättigungsgefühl hervorruft und das Belohnungssystem stimuliert. Das Hirn signalisiert dem Körper seine Zufriedenheit: Ich hatte Hunger und du hast mir zu essen gegeben. Die Fruktose kann dieses starke Signal nicht auslösen. Und wo das Sättigungsgefühl fehlt, ruft der Körper nach mehr. Bald schon ist der nächste Happen oder ein süsses Getränk fällig.

Fruktose wird wie folgt deklariert:

High Fructose Corn Syrup = HFCS, Corn Fruit Syrup = CFS, Stärkesirup, Bonbonsirup, Corn Sirup, Maissirup, Maiszucker, Fruktose-Glukose-Sirup, Glukose-Fruktose-Sirup.

Zucker bleibt Zucker

Fruktose ist in allen natürlichen Zuckern enthalten. Wer nun denkt, der Ausweg zum Vermeiden von Zucker führe über die künstlichen Zucker, wird enttäuscht sein, denn diese enthalten Zuckeralkohole (Alditole). Sie sind Reduktionsprodukte von Zucker und sehr süss. Sie passieren den Darm unverdaut und verwandeln sich im Dickdarm zu Gas. Sie blockieren die Glut-5-Rezeptoren, die eigentlich das Transportprotein für die Fruktoseverdauung ist. Die meisten Zuckeralkohole verursachen Durchfall, wenn zu viel davon konsumiert wird. Als E-Nummer figurieren sie bei den behördlich zugelassenen Zusatzstoffen. Einer davon ist Xylit, der Birkenzucker. Er bekämpft Karies und erreicht fast den Süsswert von Saccharose und kann deshalb auch gleich verwendet werden. Auf der Verpackung muss zwingend die Warnung stehen: «Kann bei übermässigem Verzehr abführend wirken.» Immerhin ist bei Xylit eine Tagesmenge von 50 Gramm erlaubt, bei anderen Süssstoffen weniger.

Stevia wird aus den Blättern der gleichnamigen Pflanze, (Stevia rebaudiana) gewonnen. Dieses Stevia-Glykosid enthält keinen Zuckeralkohol. Da es einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt, wird es meist mit künstlichen und/oder natürlichen Süssstoffen kombiniert.

Die Bitterseite des Zuckers

Zucker macht Probleme bei der Zuckerkrankheit, heute Diabetes genannt. Um die Kohlenhydrate zu verdauen, braucht es das Insulin aus der Bauchspeicheldrüse. Es kann in Tablettenform oder als Injektionen verabreicht werden. Prof. Dr. Lustig (*1954), Kinderarzt in Kalifornien beobachtet die Entwicklung. Er schreibt: Je mehr Zucker, desto mehr Diabetes! Je mehr Fruktose, desto mehr Leberverfettung! Je mehr Zucker, desto mehr Übergewicht!

Er bezeichnet den Zucker als «Gift», das sei die «bittere Wahrheit». Aufgrund von Lustig’s Studien empfiehlt die American Heart Association darum:

Die Tagesmenge Zucker soll betragen:

6 Teelöffel für Frauen

9 Teelöffel für Männer

Bei der Fruktose-Intoleranz oder der Fruktose-Malasorption kann der Fruchtzucker nicht abgebaut werden. Der Körper erträgt nur noch etwa 2 Gramm statt 25 Gramm täglich. Das einzige Gegenmittel: sich fruktosearm ernähren.

Bei der Laktose-Intoleranz ist der Milchzucker zu meiden, wenn er Übelkeit und Durchfall erzeugt. Viele Milchprodukte werden heutzutage laktosefrei produziert. Verdauungshilfen existieren in Tablettenform, doch werden sie von der Krankenkasse nicht vergütet.

Verzichten!?

Den völligen Verzicht auf Zucker schlägt Al Imfeld (*1935) vor. Er ist Autor des Buches «Zucker». Ihm geht es nicht nur um die Auswirkungen des Zuckers auf den Körper, sondern auch um die machtvolle Stellung der Zuckerindustrie in gesundheitlichen und politischen Belangen. Rigoros schlägt der Buchautor Al Imfeld den Verzicht vor: «Zucker ist eine Droge. Man kann ohne Zucker leben!» Zucker müsste wenigstens ein rares Luxusgut werden. «Ein neuer Lebensstil ist gefragt. Der Weg dazu: Entzug, Entwöhnung, Säuberung!»

Die Zuckerbäcker wehren sich

Und gleich verteidigt die Homepage der zuckerverarbeitenden Industrie caobisco.eu den Zucker: Keine andere Zutat als Zucker könne dermassen viele Vorteile bieten. Wenn Karies entstehe, dann wegen mangelhafter Mundhygiene und dem häufigen Verzehr von vergärbaren Kohlenhydraten. Zucker könne physiologisch nicht süchtig machen. Zucker könne Teil einer gesunden und ausgewogenen Ernährung sein.

Wir sind frei

Und was machen wir, nachdem wir wissen, dass Zucker nach Al Imfeld und Herrn Lustig uns schädigt? Wir können frei wählen! Wir haben nicht nur die Redefreiheit, wir haben auch die Essensfreiheit! Wir Erwachsene tragen die Verantwortung für unser Essen selber. Wir können den Zucker verdammen oder verteidigen. Oder ihn vielleicht doch geniessen, bewusst, in kleinen Mengen?! Es liegt in unserer Hand. Etwas provokativ ausgedrückt: Es ist doch Ihre Hand, die Sie «füttert», oder nicht?! ;-))

Wer mehr zu diesem Thema erfahren möchte, darf sich gerne an

Emma Magdalena Preisig-Morf wenden.

Journalistin BR, Referentin

CH-8820 Wädenswil

Titelbild:

Die Zuckerwürfel sind kleiner geworden. Der weisse gehört zur neuen Generation und ist etwas kleiner.